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LASST UNS DIES DEN ANFANG VOM ENDE SEIN.


Wehret den Anfängen, wehret den Anfängen… So oft rief man diesen Satz in den vergangenen Jahren. So oft, dass er heute bedeutungslos ist. 182 rassistische Morde zählen wir in meinem Land. 182 zu viel. Das ist kein Anfang mehr.

“Braune Armee Fraktion!”, “Brauner Terrorismus!”, “Braune Morde!”, Braun! Wie ein Wirbelsturm jagte die Neuigkeit in den letzten Tagen über mein Land und zeigte uns die Gesichter einer Krankheit, die wir viel zu lange ignorierten. Mein Land ist krank. Mein Land ist rassistisch. Und die braunen Flecken sind nur seine Symptome.

Wir haben den Falschen applaudiert und die Falschen uns. Sarrazin, wir klatschten. Wilders, wir klatschten. Broder, wir klatschten – und jetzt bluten uns die Hände.

Die waschen wir uns nun. Über unsere braunen Flecken sprechen wie so, als seien es nicht unsere. Als wären es die Flecken anderer. Enthusiastisch und leidenschaftlich stürzen sich nun die Blätter, die jahrelang den Hass schürten, kein Stereotyp unbeschrieben ließen und kein Vorurteil ungenannt, nun auf die Familien der Opfer, besuchen ihre Häuser und waschen dort ihre Hände. Sie schreiben über die bösen Rechten – die anderen.

“Ich bin unschuldig an dem Blut dieses Gerechten, sehet ihr zu.” (Matthäus 27, 24)

Wir alle sind schuld.

Man will die NPD verbieten. Ein Pflaster auf das Blut, die Flecken kleben. Kaschieren, verstecken. Ist Rassismus nicht mehr da, wenn es die NPD nicht mehr gibt?

Nein, die Täter sind unsere Täter. Die Opfer sind unsere Opfer. Das Blut ist unser Blut. Das alles geschieht in unserem Land, in unserer Gesellschaft. Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamophobie sind unser aller Themen. Denn wir sind krank.

Hören wir doch auf, uns hinter den Familien der Opfer zu verstecken, hinter NPD-Verboten. Reden wir über unsere Krankheit, reden wir davon, wie sich der Rassismus durch alle Gesellschaftskreise zieht – von Stammtischen bis hin zu akademischen Champagnerglas- und Steh-Events. Ohne dabei immer wieder unausweichlich beim Thema Deutschenfeindlichkeit zu enden. Es ist auch der subtile Rassismus, der Blick, der Ton, der schmerzt, verletzt und verstößt.

Gestern Abend lernte ich in London eine türkische Juristin kennen, die vor einigen Jahren – unentschlossen, ob sie lieber nach Deutschland oder England auswandern sollte – mein Land besuchte. Eine Woche, sagt sie, habe sie es ausgehalten.
Eine Woche und sie fühlte sich minderwertig, untergeordnet und schwach. Heute ist sie eine erfolgreiche Londoner Anwältin.

Was sollte ich ihr sagen? Ich konnte nur schweigen.

“Rassismus ist doch kein Thema mehr”, rief mir vor ein paar Monaten ein CDU-Politiker in einer Debatte hochrot angelaufen und erbost zu. “Es stirbt doch niemand mehr, es brennen doch keine Häuser mehr.”

Lasst uns endlich ehrlich sein mit uns. Lasst uns die Wurzel unserer Krankheit behandeln, aufeinander zugehen. Stark sein. Gesunden. Lasst dies den Anfang vom Ende sein.
Dieser Text erschien zuerst in der taz-Tuch-Kolumne vom 23.11.2011

journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

Comments

  • November 24, 2011
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    Das ist ein Guter Text er zeigt die fehler unserer Gesellschaft auf. Wir reden viel tun aber wenig Rassismus ist ein rießen Problem in diesem Land er ist nicht immer offen sondern viel zu oft unterschwellig aber das reicht schon um zu schaden. In diesem Land regen sich mehr menschen über die tötung von ukrainischen Straßenhunden auf als darüber das hier eine Rassitische Gruppe fröhlich durchs Land gezogen ist und mindistens 10 menschen ermordet hat und viele verletztz hat. Viele haben es nicht verstanden alles ändert sich heute kann man auch ein teil deutschlands sein egal wo her die Eltern oder die Großeltern herkammen. Ich schäme mich zu oft für dieses Land das es so gut schaft viele gute menschen auszuschließen nur weil sie nicht denn angeblichen norm entsprechen.

  • November 26, 2011
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    “Ist Rassismus nicht mehr da, wenn es die NPD nicht mehr gibt?”

    Sehr gut. Genau das ist es, was bei den ganzen Verbots-Debatten übersehen wird.

    Klasse Text!

  • November 29, 2011
    reply

    Etwa einen Tag nachdem ich mein Kopftuch das erste mal trug versuchte jemand 3 mal mich zu treten.
    Einen Monat danach bedrohte mich ein Mann im Bus, er würde mir die Fresse polieren, wir Kopftuchschlampen gehörten doch alle verprügelt, wir hätten ja selbst schuld daran, was liefen wir auch so herum.
    Im Internet liefert dann unmaskierte Gesinnungen: “unversöhnlicher Todfeind”, “Parasit fleißiger Völker”, “Islamofaschist”, “Bestie”..

    Schon seltsam, dass das Opfer schuld hat, wenn sich der Täter nicht beherrschen kann. {Das Thema hatten wir doch erst.} Natürlich hat er es nicht getan. Krakeelte, redete davon, man solle doch die Polizei holen. (Auch stank er stark nach Alkohol-wer weiß ob er sich das ohne Vodkapegel überhaupt getraut hätte. Er war ungepflegt, schmutzige Kleidung. Neben der Angst war auch irgendwo Mitleid da. Ist das überheblich?Ich hoffe nicht.)

    Es gibt seitdem immer wieder Menschen, welche über mich sprechend, ohne mich zu kennend mir unterstellen, ich sei wertlos und würde die Gesellschaft belasten, nichts leisten -eine Vorannahme. Ein Gefühl und eine Meinung, unberechtigt[meine Meinung]. Aber überprüft wird sie nicht. Ich könnte ja doch etwas wert sein, mein Studium könnte ihr Bild meiner Dummheit widerlegen. Meine Arbeit und meine Umstände könnten ihre fixe Idee einer staatlichen Alimentierung negieren.

    Lieber weitermachen. Starren und nicht fragen, Empfindungen als Tatsachen hinstellen und Unterordnung fordern. Wenn ich das selbe tue, dann jammere ich. Natürlich.[ich bevorzuge den Begriff ningeln]
    Ihre sind die Richtigen, meine die Falschen?Oder kann es nur sein, dass es ganz anders ist?
    Die[gefühlte] Mehrheit hat das Definitionsrecht über Empfindungen.

    Ich will niemandem Angst absprechen. Am wenigsten mir selbst. Ich will auch keinem Angst machen. Aber ich will ach nicht der sein müssen, der jetzt gerade temporär von der Gesellschaft erwünscht wird. Reicht es nicht, zu sagen, dass ich gewaltfrei bin, dass ich nicht mal Tieren was antue?
    Ich kann nur mein Wort geben und auf mein Lebe hinweisen. Aber wenn Menschen meinem Wort keinen Glauben schenken und mein leben nicht anerkennen wollen, dann bleibt auch nicht mehr als Resignation.

    Sollten wir jetzt nicht irgendwann mal keine Angst mehr haben? Angst ist ein schlechter Lehrer. Angst essen Seele auf.

  • December 4, 2011
    reply

    Liebe Noine,
    es spricht dieser Tage nicht viel dafür, angst- und furchtlos durch das Leben zu laufen. Aber Angst ist gut, ein natürlicher Alarm. Wir wissen durch sie, was wir nicht möchten, nicht wollen, nicht aushalten.
    Angst ist ein Symptom.
    Damit ist schon der erste Schritt getan, um die Wurzel der Angst zu bekämpfen. Hoffnung…

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