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Kübra Gümüşay

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Thomas Rohde
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MEIN KOPF GEHÖRT MIR

Ich war vierzehn Jahre alt, als mich eine Frau in der U-Bahn fragte: “Warum trägst du das Kopftuch?” “Weil ich will”, antwortete ich, woraufhin sie “Willst du nicht!” zurückschrie. Und ich hörte nur noch die Worte: Afghanistan, Gewalt an Frauen, Unterdrückung, Zwangsehen, Ehrenmorde – das volle Programm eben. Seitdem gibt es solche Szenen immer wieder.

Nein, ich möchte deshalb nicht bemitleidet werden oder gar in die ach so beliebte Opferrolle. Ich schreibe dies, weil ich das Gegenteil will: als freies, selbstständiges und mündiges Individuum wahrgenommen werden. Doch genau das wird kopftuchtragenden Musliminnen verwehrt.
Die Frauen unter Kopftüchern werden auf unterdrückte Wesen der patriarchalischen Gesellschaft und Opfer des männlichen Triebs reduziert. Drängt sich denn niemandem der Verdacht auf, dass es Musliminnen geben könnte, die freiwillig, aus religiösen Gründen, ein Kopftuch tragen?
Klar. Darüber, ob das Kopftuch religiöse Pflicht ist, wird viel diskutiert. Jede Muslimin kommt an den Punkt, an dem sie diese Frage für sich klärt – und sich für oder gegen das Tuch entscheidet. Ich bin zu der Überzeugung gelangt, dass der Quran und die Sunnah des Propheten relativ eindeutig sind in dieser Frage. Für mich ist das Kopftuch eine religiöse Pflicht.
Ein Gebot sollte jedoch nicht allein deshalb befolgt werden, weil es ein Gebot ist. Jeder Muslim ist angehalten zu verstehen, welchen Grund verschiedene Gebote haben könnten. So hat jede Kopftuchträgerin ihre eigenen, individuellen Motive. Ich zum Beispiel fühle mich mit dem Kopftuch Gott näher und erinnere mich täglich der islamischen Spiritualität. Außerdem bekenne ich mich gerne öffentlich zu meiner Religion, die mich sehr geprägt hat und noch immer prägt. Das Kopftuch ist Teil meiner Identität.
Für andere Musliminnen kann das Kopftuchtragen natürlich andere Gründe haben – wie das Schutzbedürfnis oder das vielkritisierte Verhüllen vor männlichen Blicken. Oder auch nichtreligiöse Gründe wie Ausdruck der Weiblichkeit und gesellschaftlich-familiärer Druck.
Der große Kritiker-Fehler: Aus den zahlreichen Gründen suchen sie sich einen Grund aus, auf den sie dann ihre gesamte Argumentation stützen. Ja, es gibt patriarchalische Kulturkreise, in denen das Kopftuch und die Frau von Männern als Aushängeschild der familiären Ehre missbraucht werden. Leider.
Deshalb können muslimische Communitys dafür kritisiert werden, diese Traditionen noch immer nicht effektiv bekämpft zu haben. Doch daraus ein generell islamisches Problem zu machen, wird der Realität nicht gerecht und ist unfair gegenüber all jenen Frauen, die sich freiwillig für das Kopftuch entschieden haben und nun durch das Klischee zu Unterdrückten stilisiert werden.
Daher: Nein danke. Ich renne nicht, einem Huhn ohne Kopf gleichend, blind durch die Gegend, um die unterdrückenden Traditionen der Großeltern zu verteidigen. Ich bin unabhängig, habe meinen eigenen Willen. Ich bin frei. Und deshalb: Bitte befreit jemand anderen.

taz, Tuch-Kolumne, 14.04.2010

journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

Comments

  • April 20, 2010
    reply

    Anonymous

    Willst du mich heiraten :))

  • April 23, 2010
    reply

    Der letzte Satz bringt’s auf den Punkt!

  • April 25, 2010
    reply

    Hey Kübra,
    schöner Post! unvorstellbar, dass es tatsächlich leute gibt, die nichts anderes zu tun haben, als sich in das leben fremder menschen einzumischen und ihren senf abzugeben!
    ich wollt dich noch fragen, ob du mich in deine blogroll aufnehmen würdest, da würd ich mich sehr drüber freuen:)
    lg, Phillippine (eigensinnlich)

  • May 1, 2010
    reply

    @anonym: Ein anderes Mal vielleicht. :)

    @Frau Dativ: Danke :)

    @philli: Lieben Dank Phillippine! Die Kommentare auf taz.de finde ich eigentlich relativ ausgewogen – also deutlich ausgewogener als damals zu dem Interview über den Mord an Marwa El-Sherbini. Aber na ja, einige Kommentare könnten aber tatsächlich direkt in die Tonne wandern. Was soll’s. :) Hab dich übrigens schon vor einigen Tagen rechts verlinkt. Liebe Grüße auch dir!

  • May 4, 2010
    reply

    Katha

    ja, wirklich sehr gut :)

  • May 6, 2010
    reply

    Danke, Katha! :)

  • December 11, 2010
    reply

    Anonymous

    Es gibt in der deutschen Sprache die schöne Redewendung: jemand ist nicht mehr zu retten. Und als letzt Warnung angewandt: Sind sie noch zu retten?

    Kübra beantwortet diese Frage eindeutig und ich finde man sollte das respektieren: Sie hat sich entschieden, nicht der Unterdrückung zu unterliegen, sondern an der Unterdrückung teilzuhaben. Sie spielt die heilige Jungfrau für Tausende von Brüdern, die ihrer Schwester das Nasenbein brechen oder schlimmeres.

  • December 16, 2010
    reply

    Hallo – ich bin gerade von der Mädchenmannschafts-Seite auf dein Blog geraten und komme nicht mehr los vom Lesen. Wahnsinnig interessant! Sehr toll! Ermutigend! Ich habe immer daran geglaubt, dass es möglich sein muss, emanzipierte, frei denkende, aber gleichzeitig gläubige und sogar kopftuchtragende Muslimin zu sein, und ich freue mich, in dir ein Beispiel dafür gefunden zu haben.

    Trotzdem – und vermutlich ist die Frage inzwischen so oft gestellt worden, dass sie nervt, und vermutlich hast du darüber bereits anderswo geschrieben, und ich find’s nur nicht – würde ich gerne noch mehr über die Idee des Kopftuches aus rein religiösen Gründen erfahren, denn der Unterdrückungsaspekt ist (denke ich von außen) vielleicht doch auch innerhalb dieser Religiosität auffindbar – wie lässt sich das mit einem emanzipierten Weltbild vereinbaren? Das interessiert mich besonders, weil ich für mich selbst, die ich einst sehr katholisch war und mich inzwischen zur liberalen Agnostikerin mit einem gewissen monotheistisch geprägten spirituellen Hintergrund gewandelt habe, festgestellt habe, dass sich zumindest das katholische Weltbild von Geschlechterrollen und Sexualität (die ja immer unterschwellig mit hineinspielt, sobald ein Unterschied zwischen Männlein und Weiblein gemacht wird) nicht mit meiner emanzipiert-liberalen Weltsicht von heute vereinbaren lässt, aber natürlich vergleiche ich da Äpfel mit Birnen (und das vom Standpunkt einer Person, die gar nicht weiß, wie Birnen schmecken). Ich werde mich definitiv noch eingehender mit der Thematik beschäftigen; danke für den Denkanstoß!

    Liebe Grüße,
    die Poetin

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