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Kübra Gümüşay

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Thomas Rohde
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DICHTUNG & WAHRHEIT – FAQ

“If I didn’t define myself for myself, I would be crunched into other people’s fantasies for me and eaten alive.”
Audre Lorde

 

Seit Jahren erfahre ich immer wieder die gleichen Vorwürfe, die sich mitunter gegenseitig ausschließen. Für die einen ist mein Einsatz für eine plurale Gesellschaft, meine konstruktive Kritik an Regierungen oder Missständen in religiösen Gemeinschaften Apostasie, für andere Apologie – für die einen bin ich eine abtrünnige Ungläubige, für andere ein islamistisches U-Boot. Für die einen bin ich Unterstützerin des Patriarchats, weil ich ein Kopftuch trage, für die anderen bin ich keine “richtige” Muslimin, weil ich mich beispielsweise für Feminismus und die Rechte von LGBTQ einsetze. Und wieder andere fragen vorwurfsvoll, wieso ich keine Kritik üben, mich nicht einsetzen würde. Irritierend.

In diesem Dokument (veröffentlich im Januar 2018; auf 2000 ist er datiert, um ihn als Meta-Text “zeitlos” zu halten) fasse ich die derzeit häufigsten Argumentationsketten zusammen und widerlege sie mit konkreten Beispielen. Gegen aus meiner Sicht besonders grobe Falschzitate, böswillige Anschuldigungen und Verleumdungen gehe ich inzwischen juristisch vor.

1- Wofür ich stehe

Ich stehe für eine liberale, plurale Gesellschaft, für ein friedliches Miteinander, Freiheit und Gerechtigkeit – gegen Hass, Hetze und Diskriminierungen jeglicher Art.

Ich kann in eine “konservative” islamische Gemeinde gehen und mit ihnen über Antisemitismus und Sexismus sprechen, und das als Feministin, als Antirassistin, als jemand, die für LGBTQ-Rechte einsteht, weil diese Menschen wissen, dass es mir nicht um öffentliche Aufmerksamkeit geht. Damit ich das kann, ist es aber wichtig, dass ich sie nicht öffentlich stigmatisiere – sondern konstruktiv kritisiere. Gerade für diese konstruktive Kritik werde ich eingeladen.

2- Preaching to the choir

Ich könnte es mir einfach machen und nur zu einem Publikum sprechen, das diese Werte ohnehin vertritt. Das wäre deutlich einfacher. Aber mir liegen die Themen, für die ich stehe, sehr am Herzen und ich will Veränderung bewirken. Ich rede mit den Menschen, um die es geht.

Und deshalb nehme ich vereinzelt Einladungen von Organisationen an, die eine wichtige Rolle in den islamischen Gemeinschaften einnehmen – auch wenn sie Positionen vertreten, die in meinen Augen sehr problematisch oder unvereinbar mit meinen eigenen Werten sind.

Dass ich islamische Organisationen nicht abblocke und öffentlich nicht über sie herziehe, ist nicht gleichbedeutend mit Nähe und Zustimmung. Denn:

3- “mangelnde innermuslimische Kritik”

Wenn ich zu islamischen Organisationen eingeladen bin, dann übe ich selbstverständlich Kritik, spreche über Missstände in den Gemeinden und motiviere sie, dagegen vorzugehen – gerade als gläubige und spirituelle Menschen. Das ist aus meiner Sicht die eigentliche innermuslimische Kritik.

Beispiele aus Vorträgen für ein muslimisches Publikum:

2016: Bei meinem Vortrag bei Milli Görüs im Rahmen der Internationalen Woche gegen Rassismus sprach ich u.a. über Diskriminierung in islamischen Gemeinden und die Notwendigkeit, sich für die gesamtgesellschaftliche und innermuslimische Pluralität einzusetzen, so beispielsweise für LGBTQ.

2016: Bei meinem Vortrag bei Vereint im Islam mit dem Titel “Agieren statt Reagieren” ermahnte ich das Publikum, Probleme, die mit dem Islam begründet werden, nicht einfach rhetorisch abzuwehren, sondern aktiv dagegen vorzugehen. Hier ein Auszug aus meinem Skript:

“Gibt es Muslime, die zu Terroristen werden? Ja
Gibt es Sexismus unter Muslimen? Ja
Gibt es Antisemitismus unter Muslimen? Ja
Gibt es muslimische Männer, die ihre Frauen schlagen? Ja
Gibt es unter Muslimen Ehrenmorde? Ja
Gibt es Muslime, die gezwungen werden ein Kopftuch zu tragen, unter Zwang eine Ehe einzugehen? Ja
Ja. All das gibt es.
Was kann man tun?
Es hilft nicht nur zu sagen: „Das hat nichts mit dem Islam zu tun.“
Denn viele dieser Menschen nutzen gerade den Islam, um ihre Schandtaten zu rechtfertigen.
Unsere erste Aufgabe ist es selbstverständlich innerhalb der Community dagegen vorzugehen.
Tun wir genug gegen den sozialen Druck innerhalb unserer Communities? Gegen den Missbrauch des Islams für nicht-islamische Praktiken? Gibt es ausreichend Anlaufstellen in muslimischen Gemeinden für Frauen und Männer, die Gewalt und Diskriminierung erfahren? Für Eltern, die sich um die Entwicklung (gemeint ist Radikalisierung) ihre Kinder sorgen?”

2017: Bei meinem Vortrag bei der Jungen Islam Konferenz ermutigte ich die Jugendlichen, sich nicht auf ihre religiöse Identität (zu) reduzieren (zu lassen) und dabei aktiv solidarisch mit anderen Minderheiten, wie beispielsweise LGBTQ oder jüdischen Communities, zu sein.

2017: Bei meinem Vortrag im Hamburger Ramadan Pavillon sprach ich darüber sich insbesondere in diesem heiligen Monat mit Missständen innerhalb der Gemeinden zu beschäftigen. Sexismus, Gewalt gegen Frauen (Bsp Jahrestag von Hatun Sürücü), Homofeindlichkeit und vielen anderen Themen und Missständen. Meinen vollen Vortrag können Sie hier nachlesen.

2017: Das Münchner Forum für Islam lud mich gezielt zum Thema “Innerislamische Toleranz” ein. Darin geht es um den Sexismus, den Frauen erfahren, um die Obsession mit dem Kopftuch, Rassismus, Homofeindlichkeit und viele andere Themen. Mein Vortrag dort ist online nachzusehen.

Trotzdem bleibt ein Großteil der Arbeit von muslimischen Feminist_innen und Frauenrechtler_innen unsichtbar für die Öffentlichkeit. Über “die Arbeit im Stillen” habe ich in der Taz einen ausführlichen Essay geschrieben.

4- “Nähe zu Milli Görüs”

Begründet wird der Vorwurf mit dem Vortrag in 2016 und einer Kolumne aus 2012 mit dem Titel “Beobachtet”. Wie in Punkt 2 und 3 beschrieben, befasste sich der Vortrag im Rahmen der Internationalen Woche gegen Rassismus insbesondere mit der Diskriminierung in islamischen Gemeinden und der Notwendigkeit, sich für die gesamtgesellschaftliche und innermuslimische Pluralität einzusetzen, so beispielsweise für LGBTQ. In der Kolumne habe ich nicht Milli Görüs verteidigt, sondern mich kritisch zur Rolle des Verfassungsschutzes geäußert. Hier nachzulesen.

5- “Erdogan & AKP-Nähe”

Es ist perfide und haltlos, mir Parteinahme für die AKP oder Erdogan zu unterstellen. Denn der Vorwurf wird mit sage und schreibe zwei Tweets (siehe unten) aus dem Jahr 2013 begründet. Mit sehr viel weniger Aufwand hätten mir diese Personen auch eine Erdogan- und AKP-Feindschaft nachsagen können.

Zeitlebens hab ich vier Texte zu der aktuellen Politik in der Türkei geschrieben, das sind diese hier: 1. Ein Artikel zu Erdogans frauenfeindlicher Rhetorik (2012) 2. Eine Kolumne über eine Sexarbeiterin aus der Istanbuler LGBTQ-Community (2011) 3. Ein Artikel über die mediale Landschaft und gesellschaftliche Polarisierung (2013) und 4. Eine Kolumne, in der ich die Polarisierung erneut thematisiere und betone, dass ich keinem der politischen Lager angehöre (2016).

Während der Gezi Proteste (2013) veröffentlichte ich mit Freundinnen eine Petition: İtidal Çağrısı. Darin forderten wir die Regierung dazu auf, mehr Verständnis für die Gezi-Protestierenden zu haben, und ermahnten sie zu Besonnenheit und Mäßigung: Link zur Petition.

Schon im Juni 2013 wehrte ich mich gegen die Vereinnahmung durch andere und kritisierte jene, die aufgrund des Kopftuchs glauben, man wäre eine blinde und unkritische Gefolgin der türkischen Regierung.

Sage und schreibe zwei Tweets dienen dem Vorwurf als Grundlage:

Tweet 2 ist aus dem Kontext gerissen. Er entstand im Rahmen einer Diskussion (siehe unten), in der ich zu dem Zeitpunkt die Oppositionsparteien als nicht regierungsfähig einschätzte und vorschlug, zunächst die AKP konstruktiv zu kritisieren und parallel die Oppositionsparteien zu stärken.

Doch selbst wenn ich den Tweet so gemeint hätte, wie die Kritiker ihn deuten: Im gleichen Zeitraum schrieb ich Dutzende Tweets, die entweder die AKP Regierung kritisierten, die Gezi Protestierenden verteidigten oder für mehr Verständnis für diese warben. Hier nur eine kleine Auswahl meiner zahlreichen Kommentare und Tweets aus dem Jahr 2013 zu dem Thema:

Übersetzung: #DringendDemokratie gebraucht – Die Kritiken, die @cuneytozdemir in seinem Artikel schreibt, sind wichtig, sollten gehört werden. Bitte.

Übersetzung: Seine Vorurteile zu überwinden ist die Verantwortung des Vorurteilenden. Würden Sie sich auf der Straße mit den “Anderen” unterhalten, dann würden sie viele Menschen finden, die Sie glücklich machen, habe ich gesagt. :)

Übersetzung: Haben wir nicht vergessen. Aber wir haben falsche Lehren daraus gezogen. Die Lehre derer, die Leid erlebt haben, sollte sein, niemals niemandem, nicht einmal ein bisschen Leid zuzufügen.

Übersetzung: Die Menschen beschimpfen einander so als würden sie nicht morgen miteinander leben müssen… Nicht, dass ihr euch morgen schämt?

Übersetzung: So wie ich nicht vergessen habe, wie mein Urgroßvater heimlich im Wald den Kuran unterrichtete, wie meine Mutter nicht zur Universität gehen konnte, werden einige die heutigen Tage nicht vergessen.

Übersetzung: Lasst uns das Morgen gemeinsam aufbauen. Lasst uns nicht Hass und Feindschaft nähren. Lasst uns in jedem Schritt und Wort an unser Morgen denken. Unsere gemeinsame Zukunft…

Übersetzung: Wäre ich in Istanbul, würde ich mich vor die Polizei stellen und sie anflehen, nicht mehr Gas einzusetzen, und würde die Freunde mit eigenen Händen von dort entfernen.

Übersetzung: Eines Tages ging der Wind eine Wette mit der Sonne ein und sagte: “Siehst du den Mann da unten? Schau, ich werde ihm die Jacke ausziehen.” #geziparki

Übersetzung: Ein vorbildlicher Text. Uns wird ehrliche und aufrichtige Eigenkritik zueinander bringen – wenn alle Teile der Gesellschaft sie üben, natürlich.

Übersetzung: Von Sirri Süreyya Önder “Als ein Armenier, ein Kurde und ein Türke eine Pflaume stahlen…” (Link) #Wir lassen uns nicht teilen.

Irritiert durch das kompromisslose Lagerdenken und um meine Haltung aber nochmal zu betonen, schrieb ich nach dem Putschversuch diesen Text beim NDR, wo ich die Reaktion vieler Deutschtürk_innen kritisierte und die Bedeutung der Solidarität mit Minderheiten in der Türkei betonte.

Trotz der großen Anspannung und Polarisierung, setzte ich immer wieder einen konstruktiv kritischen Ton an, beispielsweise durch diese Tweet-Reihe, in der ich die Wahl vieler Deutschtürk_innen zum Referendum kritisierte.

6- Vorwürfe aus dem EMMA Artikel und Interpretationen durch Dritte

Gegen die Vorwürfe im EMMA Artikel der Januar/Februar-Ausgabe 2018 gehe ich inzwischen juristisch (Update siehe link) vor.
Übrigens: Die Journalistin Melanie Christina Mohr hat eine ausführliche Replik geschrieben, die hier zu finden ist.

A – Der Satz “Die Salafisten hätten ‘auch viel Gutes gemacht’” stammt nicht von mir. Es handelt sich hier um ein Zitat einer Schülerin, die an ihrer Schule gegen Salafisten kämpft. Hier nachzulesen. Diese Aussage habe ich auch nicht “zustimmend” zitiert.

B – Natürlich verurteile ich Sexismus und sexualisierte Gewalt in islamischen Gemeinden scharf und klar. Nur als Beispiel, sei auf eine ausführliche Tweet-Reihe, die ich nach Bekanntwerden von Missbrauch in islamischen Gemeinden schrieb. Hier nachzulesen.

C – Ich bewege mich nicht im Kontext oder Umfeld des schiitischen Islamischen Zentrums Hamburg, sondern war lediglich einmal Podiumsgast zum Thema “Muslime und Medien” auf der Einheitskonferenz. Dort sprach ich über die mangelnde innerislamische Diskurs-, Kritikkultur und Öffentlichkeiten, in denen Missstände innerhalb muslimischer Gemeinden thematisiert und diskutiert werden können. Zur Einheitskonferenz laden unterschiedliche islamische Gemeinden in Hamburg jedes Jahr ein, um gesellschaftspolitische Themen rund um den Islam und Muslime zu diskutieren. Es kommen unterschiedlichste Gäste aus Politik, Wissenschaft und Medien (diese werdene übrigens gar nicht oder nicht in gleichem Maße dafür angegangen wie ich, was für die Doppelmoral derer spricht, die diese Konferenzteilnahme als “Beweis” anführen). Außerdem: Siehe Punkt 2.

D – Natürlich habe ich nicht zu den Verhaftungswellen in der Türkei geschwiegen, wie man hier in diesem Text oder auch hier in einem von zahlreichen Tweets nachlesen kann. (Außerdem: Verweis auf Punkt 5)

E – Auch habe ich nie behauptet, dass „Integration hochgradig diskriminierend“ sei, da sie einer „Selbstaufgabe der eigenen Identität gleichkomme“. Die Äußerung „integration is highlighy discriminatory” stammt von einer feministischen Aktivistin in England. Ich stellte diese Aussage auf Twitter lediglich als Zitat kenntlich zur Diskussion. Selbstverständlich stehe ich Desintegration entschieden entgegen. Integration muss von allen gesellschaftlichen Teilen bewältigt werden – nicht nur von Migranten und ihren Nachkommen. (Ausführlichere Positionierung, siehe Punkt 7)

Auf Goethe.de folgte ein Interview, wo ich auf dieses Zitat angesprochen wurde.

„[…] Vor Kurzem haben Sie bei Twitter geschrieben: „integration is highly discriminatory“, also „Integration ist hochgradig diskriminierend“. Wie ist das gemeint?

Das ist ein Zitat von einer feministischen Aktivistin hier in England. Es geht um die Frage: Wo ist die Grenze zwischen Integration und Assimilation? Was muss jemand tun, der integriert sein will? Es gibt in Großbritannien eine ähnliche Debatte wie in Deutschland. Ich denke da auch an die Diskussion, die ich mit Thilo Sarrazin in einer BBC-Sendung hatte. Ich habe mich vorgestellt, gesagt, was ich mache, und ihn gefragt: Was wollen Sie von mir? Und er sagte zu mir: „I want you to integrate“. Was soll ich noch tun, damit ich in seinen Augen als integriert gelte? Offenbar ist hier mit Integration Selbstaufgabe gemeint, ein Ablegen der eigenen Identität. […]“

Hier ist die in Bezug genommene Diskussion mit Thilo Sarrazin abrufbar (ab Minute 39).

7 – Meine Position zu Integration

Wenn ich sage, dass man statt Integration Partizipation einfordern sollte, dann nicht weil ich Integration ablehnen würde, im Gegenteil, sondern weil Menschen erst durch Partizipation letztlich integriert sind. Fatih Akin, Jérôme Boateng, Shermin Langhoff, Dunja Hayali und etliche andere prominente Figuren, die als “integriert” gelten, sind Menschen, die sich eingebracht haben. Eine moderne Integrationspolitik sollte Partizipation möglich machen – u.a. durch Anerkennung, Chancengerechtigkeit und Teilhabemöglichkeit für alle Bürger_innen dieser Gesellschaft, ob in Stadt oder Land, arm oder reich, mit oder ohne Behinderung, mit oder ohne Migrationshintergrund, religiös oder atheistisch. Damit Menschen letztlich integriert sind.

Selbstredend stellen die Pluralität unserer Gesellschaft, das Grundgesetz, Freiheit, Recht und Ordnung die Rahmenbedingung für Partizipation dar.

8 – Solidarität

Selbstverständlich bin ich solidarisch mit Frauen, die das Kopftuch nicht tragen wollen oder ablegen – immer wieder, in unterschiedlichsten Formen, sei es in meinen Vorträgen oder Texten. Die mancherorts krankhafte, gefährliche Obsession mit dem Kopftuch thematisiere ich immer wieder. Hier ein Text über Freundinnen von mir, die es abgelegt haben. Hier mein jüngstes Posting hierzu. Und hier ein Ausschnitt aus einem meiner vielen Postings zum Thema Kopftuch:
Frauen* können sich für oder gegen das Kopftuch entscheiden. Keine darf aufgrund ihrer Entscheidung diskriminiert werden – von niemandem. Und nochmals: Wir müssen aufhören mit unserer Kopftuch-Obsession – Muslime wie Nichtmuslime. Ich weiß, ich wiederhole mich und ich bin es müde: Ein Kopftuch macht nicht religiös, kein Kopftuch macht nicht ungläubig.

9 – “Haustürken”

Eine Wort-Kreation, die ich das erste und letzte Mal 2013 in einer Kolumne (und nur wenige Tage danach in einer kritischen Reflektion zu dem Begriff) als Kritik an türkeistämmigen Islamkritiker*innen verwendete, die damals durch ihren Kronzeug*innen-Status medial einen Freischein für absurde, hanebüchene Aussagen erhielten. Dieser Begriff wurde damals weder verwendet, um regimekritische Türkeistämmige zu diffamieren, wie das heute der Fall ist, (das geschah erst ca. zwei Jahre später und nicht 2013,wie sich hier sehr einfach nachvollziehen lässt), noch habe ich diesen Begriff je in dem kritisierten Kontext verwendet – und lehne ihn ab. Zumal ich schon 2013 diesen Begriff für unpassend hielt.

10 – Alevit*innen-/Kurd*innenfeindlichkeit (veröffentlicht im Feb 2020)

Die Behauptung wird damit begründet, ich hätte zur türkischen Militäroffensive in 2019 geschwiegen. Das stimmt nicht, siehe hier. In meinem Buch habe ich an einer Stelle einen Dichter genannt, dessen u.a. alevitenfeindliche, antisemitische und andere mit meinen Überzeugungen nicht vereinbare Äußerungen mir nicht bekannt waren. Als ich darüber informiert wurde, habe ich den Namen unverzüglich entfernen lassen und mich ebenso schnell öffentlich dafür entschuldigt. In meinem Buch habe ich selbstredend auch die Unterdrückung von Kurd*innen in der Türkei thematisiert (mit Fokus auf Sprache, weil: Thema des Buches), da mir die Bekämpfung von Rassismus selbstverständlich nicht nur in Deutschland, sondern überall auf der Welt ein Anliegen ist – auch in der Türkei. Denn der Rassismus, die Diskriminierung, die sie erfahren, ist massiv. Zu viele Traumata, Tote, Gewalt & Unterdrückung in der Türkei – und Diskriminierung in türkeistämmigen Communities auch in Deutschland begleiten sie.

Ich bin dankbar für alle meine kurdischen, alevitischen, ezidischen Freund*innen, die mir dabei helfen, mich in dieser Hinsicht stetig weiter zu sensibilisieren, so wie ich das für sie bezüglich anderer Themen tue. Für die Nachsicht und das Bewusstsein um das Bemühen bedanke ich mich ebenso. Sie sind ein elementarer Bestandteil, um in einer pluralen Gesellschaft, Verständnis für die Perspektiven anderer aufzubringen und sich der eigenen Privilegien bewusst zu werden. Denn was mich in meiner Arbeit antreibt, ist das Ziel einer gerechteren, friedlicheren, respektvolleren, menschlicheren, umsichtigeren Gesellschaft.

11 – Schlusswort

Feminist_innen, Anti-Rassist_innen, sogenannte “Gutmenschen” und viele andere, die für eine plurale, offene Gesellschaft einstehen, sind derzeit unter Beschuss. Mir ist klar, weshalb: Die Welt ist komplexer als die Kategorien, in denen bislang häufig gedacht worden ist. Ich kann deshalb nachvollziehen, dass Menschen, die mich nicht klar in einfache, althergebrachte Schubladen einordnen können, irritiert sind und dass diese Ambivalenz mancherorts Abwehr erzeugt. Weil sie sichtbare Religiosität nicht mit Emanzipation und dem Einsatz für Gerechtigkeit, eine plurale Gesellschaft und Freiheit zusammenbringen können – oder wollen. Oder jene, die ein Grundmisstrauen gegen Religionen und Religiöse haben.

Ich bin dankbar für die Kritik, die mir dabei hilft, in einem ambivalenten Raum nochmal über meine Antworten nachzudenken und sie stetig und kontinuierlich auszubauen.

Derweil machen wir, mache ich weiter. Selbstbewusst. Nuanciert. Konstruktiv. Bunt. Plural.
Und mit ganz viel Herz.

 

Update: Oktober 2018

Wie jeder andere Mensch auch, entwickle ich mich stetig weiter. Ich wachse, werde reifer, lerne, erfahre, erlebe, lebe und werde besonnener. Mein Horizont erweitert sich und zugleich werde ich mir der Begrenztheit meines eigenen menschlichen Horizontes, der blinden Flecken umso bewusster. Dass Menschen einander Wachstum und Weiterentwicklung zugestehen, hielt ich einst für selbstverständlich. Diese Kultur müssen wir jedoch erst noch entwickeln – insbesondere im digitalen Zeitalter, wo alles, was wir je sagten und sprachen und flapsig kommentierten, bis in alle Ewigkeit festgehalten ist. In einem Zeitalter, wo Menschen noch für Texte und Tweets belangt werden, die sie mal mit Anfang 20 und dann nie wieder schrieben.

Ich lerne, jeden Tag. Beziehungsweise: Ich unlearne. Ich unlearne Sexismus, Rassismus, Transfeindlichkeit, Antisemitismus, antimuslimischen Rassismus, Ableismus, Klassismus etc. Eigentlich, so wie wir alle, die stetig versuchen, ein wacher, besserer, soldarischer Mensch zu sein. An sich zu arbeiten. Zu lernen. Ein beständig kritischer Blick auf sich selbst.

“Wenn sich die Fakten ändern, ändere ich meine Meinung. Und was machen Sie?” – dieses Zitat von Keynes schickte mir ein Freund zu, der fand, ich müsse mich nicht für alte Texte rechtfertigen. Hat er recht? Welchen Menschen gestehen wir in unserer Gesellschaft Wachstum, benefit of the doubt und Komplexität zu – und wem nicht?

An dieser Stelle möchte ich wiederholt meine Dankbarkeit ausdrücken. Bei all meinen Freund*innen, die sich zusammen mit mir auf den Weg machten, diese Reaktionen einzuordnen, zu begreifen, einen Umgang damit zu finden, meine blinden Punkte zu definieren, zu sehen und an ihnen zu arbeiten, zu lernen, zu wachsen. Ich liebe euch und danke euch von Herzen. Und auch bei all jenen, die Kritik übten, bedanke ich mich herzlich. In jeder (konstruktiven) Kritik sehe ich auch die Möglichkeit zu wachsen. Jede dieser Kritiken kostet Zeit, Aufmerksamkeit und Mühe. So war fast jede Auseinandersetzung, die ich hierbei hatte, eine lehrreiche für mich, die mich hat wachsen lassen. Für diese Momente bin ich dankbar.

Danke. Für alles.

journalist, columnist and author of this blog. a turkish-german muslim juggling politics, feminism, cyberculture and life between germany, istanbul, oxford & the world.

Comments

  • September 20, 2018
    reply

    Anna

    Immer wieder Danke für Deine klugen Worte, Dein Engagement, Dein Irritieren, es hilft so sehr die Bilder im Kopf zu revidieren.

  • September 25, 2018
    reply

    Yasin Kunut Cakir

    Auch ich danke dir.
    Bitte bleibe standhaft!
    Da oben, wo es stürmt und fegt.
    Wir brauchen mehr starke Frauen wie dich, insbesondere Musliminnin, die zur Gerechtigkeit aufrufen und sich mit dem Abbau von Vorurteilen beschäftigen.

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